Interview mit Dipl.-Ing. Christian Müller, Geschäftsführer der W. Müller GmbH
Die Blasform-Branche hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wachsender Kostendruck und aktuelle Werkstoff-Trends stellen die Blasform-Maschinenbauer und ihre Kunden vor immer neue Herausforderungen. Gleichzeitig eröffnet die derzeitige Entwicklung in Richtung Mehrschicht-Extrusion und Gewicht-sparenden Produktdesigns zahlreiche neue Chancen, die es zu nutzen gilt. Wir befragten Dipl.-Ing. Christian Müller, Geschäftsführer der W. Müller GmbH und zugleich Vorsitzender des VDI-Fachausschusses Blasformtechnik, zu aktuellen Herausforderungen und Branchentrends – und wie das von ihm und seiner Schwester geleitete Unternehmen sich fit macht für die Zukunft.
Herr Müller, wie hat sich der Blasform-Markt in den vergangenen Jahren verändert?
Christian Müller: Aus meiner Sicht sehr deutlich. In den 1980er/1990er Jahren kamen 80% aller Blasformanlagen aus Deutschland. In diesen Zeiten bekamen Kunden ihre Maschinen von manchen Herstellern regelrecht zugeteilt. Das gibt es heute Gottseidank nicht mehr! Heute hat die Bundesrepublik weltweit nur noch einen Marktanteil von etwa 1/3 oder weniger. Ein Großteil der Anlagen kommt inzwischen aus Asien. Auch Italien ist sehr stark. Der Markt hat sich seit damals also massiv gewandelt: Heute müssen wir uns in einem Käufermarkt bewähren. Das ist natürlich gut für den Wettbewerb.
Eine vielleicht wichtigere Entwicklung ist der jüngere Trend weg von Polyolefinen und hin zu PET, etwa bei Flaschen und kleineren bis mittelgroßen Behältern: PET ist sehr klar und auch noch günstiger als Polyethylen. Dieser Polyester wird allerdings streckgeblasen, also nicht auf klassischen Extrusionsblasform-Anlagen verarbeitet. Darunter leiden momentan praktisch alle großen Blasformanlagenbauer. Es gibt natürlich Versuche, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, etwa mit modifizierten Polyestern wie PETG oder extrudierbarem PET (E-PET), aber das steckt noch in den Kinderschuhen.
Gab es auch positive Entwicklungen?
Christian Müller: Aber ja! So ist zum Beispiel deutliche Bewegung in den Markt für das Mehrschicht-Blasformen gekommen. Wir registrieren etwa ein wachsendes Interesse an Barriereanwendungen. Sauerstoff-Barrieren steigern die Lagerfähigkeit vieler verderblicher Produkte. Das Motto ist: Wände statt Konservierungsmittel! Das ist zwar noch kein regelrechter Boom, aber eine stetige Entwicklung.
Außerdem sehen wir einen klaren Trend in Richtung Rezyklat-Einsatz, etwa in der Mittelschicht bei dreischichtiger Fahrweise. Damit kann man zum Beispiel Pigmente sparen und hat weniger Produktionsabfälle. Außerdem sind die Spülzeiten kürzer. Das alles sind handfeste Gründe für diese Entwicklung, die sich übrigens in allen Gebindegrößen abzeichnet. Mehrschicht ist absolut Trend!
Wer hier mitmischen will, benötigt natürlich komplexere Anlagen. Davon profitieren wir als einer der technisch führenden Retrofit-Anbieter sehr, denn wir eröffnen unseren Kunden eine ausgesprochen wirtschaftliche Möglichkeit, in diesem Bereich wettbewerbsfähig zu bleiben.
Ist der Kontakt zwischen den Blasform-Maschinenbauern und ihren Kunden in den vergangenen Jahren enger geworden – wie etwa bei den Kollegen im Spritzguss-Sektor?
Christian Müller: Nein, der ist leider nicht mehr so eng, wie er früher mal war. Man sieht sich praktisch nur noch auf Veranstaltungen.
Wie zum Beispiel der VDI-Fachtagung Blasformen 2017, an deren Organisation Sie als Vorsitzender des VDI-Fachausschusses Blasformtechnik federführend beteiligt waren …
Christian Müller:Ja, genau. Diese Tagung war tatsächlich wieder eine hervorragende Gelegenheit, sein Netzwerk zu vertiefen. Tagungen sind dafür meiner Ansicht nach viel besser geeignet als Messen, weil man in kürzerer Zeit viel mehr Infos aufnehmen kann. Darum engagiere ich mich im VDI-Blasform-Fachausschuss sehr gerne.
Aber außerhalb solcher Veranstaltungen findet immer seltener ein echter Gedankenaustausch statt. Das hat viele nachvollziehbare Gründe, kann aber meiner Meinung nach tatsächlich einmal zu einem Problem für die Branche werden. Anstatt technische Lösungen für die Kunden zu entwickeln, beschränkt sich die Zusammenarbeit immer öfter nur noch auf das bloße Ausfüllen von Tender-Formularen. Über Anschaffungen bzw. Investitionen entscheidet häufig nicht mehr der Ingenieur oder Meister, der sich in der Produktion auskennt, sondern der Einkauf – der oft ganz andere Prioritäten hat als der Fachmann in der Werkshalle. So schneidet man sich aber letztlich von Innovationsprozessen ab und schadet langfristig auch seiner Wettbewerbsfähigkeit. Diese Entwicklung sollte korrigiert werden.
Wir bei W. Müller sind davon zwar noch nicht in größerem Umfang betroffen, da wir als Retrofit-Hersteller einen sehr speziellen Markt bedienen. Und deshalb sehr oft beim Kunden vor Ort sind und dort in engem Kontakt mit den technisch verantwortlichen Leuten stehen. Aber im Blick auf die gesamte Branche kann einem diese Entwicklung schon Sorgen machen.
Stichwort Innovationsprozesse: Ein weiteres Beispiel für vielversprechende Verfahren, die in der Branche diskutiert werden, ist neben dem Mehrschicht-Blasformen auch die Schäumtechnologie. W. Müller engagiert sich hier bekanntlich sehr. Wie geht es damit voran?
Christian Müller: Gute Frage! Diese Technik stößt natürlich auf extrem viel Interesse, auch im Kleinverpackungsbereich. Bei den branchentypischen Losgrößen sind schon Einsparungen im Grammbereich lohnend – da ist definitiv etwas auf dem Sprung. Die Umstellung verläuft allerdings noch eher langsam. Man will die Braut natürlich erst einmal näher kennenlernen.
Aber selbst Mehrschicht und Schäumen sind noch nicht das Ende der Fahnenstange. Auch das Design blasgeformter Behälter ändert sich. Ziel ist hier längst nicht mehr nur eine weitere Gewichtseinsparung. Viele Produkte werden heute auch über die Verpackung verkauft: Das Design ist mindestens so wichtig wie Werbung! Man versucht also, über Farben und gestalterische Gimmicks beim Endkunden Aufmerksamkeit zu generieren. Dadurch werden die Produkte immer individueller. Auch Packungsgrößen variieren, weil die Menschen im Supermarkt unterschiedliche Bedarfe und Ansprüche haben: Die Vielfalt ist viel größer als noch vor 20 Jahren. So entsteht eine paradoxe Situation: Die Durchsätze steigen, die Losgrößen werden aber immer kleiner.
Was für Herausforderungen bringt das für die Blasformbranche mit sich?
Christian Müller: Zunächst einmal natürlich rein praktische: Manche Farben und Pigmente sind einfach schwerer zu verarbeiten als andere – die Herausforderungen durch höhere Durchsätze hier erst einmal beiseite gelassen. Die Nachfrage nach Köpfen mit einer speziell gehärteten Oberfläche nimmt daher zu – um nur ein Beispiel zu nennen. Auch die zur Produktion herangezogenen Kunststoffe ändern sich. Es kann durchaus eine Herausforderung sein, die für den Einsatzzweck besten Materialien optimal zu verarbeiten. Ein Beispiel sind zähe, hochsteife Kunststoffe: Wenn Sie die mit hohen Durchsätzen prozesssicher verarbeiten wollen, müssen Sie tief in die Blasform-Trickkiste greifen. Da zählt unsere lange Erfahrung natürlich doppelt!
Letztlich reagieren wir auf diese Entwicklungen also wie immer: indem wir ständig proaktiv wirtschaftliche und hochinnovative Technologien entwickeln, zum Beispiel für die Produktion von Flaschen mit Farbverläufen oder Behältern mit variierenden Wanddicken – gezielt verstärkte Wände können helfen, ihre Stabilität erhöhen und unter‘m Strich dennoch Gewicht zu sparen. Wir sehen die neuen Trends als Chance und verdanken der zunehmenden Produkt-Diversifizierung tatsächlich auch viele neue Aufträge.
Werden Sie dabei von den Materialherstellern unterstützt?
Christian Müller: Nicht unbedingt. Das Blasformen ist für die großen Rohstoffanbieter eher uninteressant, es sei denn, es geht um großvolumige Produkte wie Kanister. Es gibt durchaus Anbieter, die uns mit ihrem Knowhow unterstützen, aber ihre Reaktoren stellen die für uns Blasformer noch nicht um, obwohl es auch da Ausnahmen gibt. Bimodale Polyolefine etwa lassen sich inzwischen ganz gut verarbeiten. Die optimalen Temperaturen, Drehzahlen etc. müssen wir uns in der Regel allerdings selbst erarbeiten. Das Prozess-Knowhow liegt bei uns – und wir stellen uns der Herausforderung.
Aber ich sehe da auch eine positive Entwicklung: Da Polyolefin-Hersteller in der Regel kein PET anbieten, müssen sie versuchen, dem Anwender ihr Material wieder schmackhaft zu machen. Vielleicht gelingt es ihnen, mit neuen Polyethylen-Typen den Trend zu PET abzuschwächen.
Wo wir gerade beim Rohstoff-Thema sind: Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und „Bio-Kunststoffe“?
Christian Müller: Das ist definitiv interessant! Wir haben bereits viele Erfahrungen mit Bio-Kunststoffen gesammelt und keinerlei Probleme mit der Verarbeitung. Das klappt sehr gut! Auch in der Branche ist man diesbezüglich hellwach – ich bin sicher, das Thema wird noch stärker werden. Einschränkungen sehe ich allerdings noch im Blick auf Verfügbarkeit und Preise.
W. Müller hat sich in erster Linie als Retrofit-Anbieter einen guten Namen gemacht. Nimmt die Bedeutung dieses Ansatzes zu?
Christian Müller: Ja, unbedingt! Weil Retrofits die technische Flexibilität des Kunden drastisch erhöhen. Und preiswerter als die Anschaffung einer gänzlich neuen Anlage sind sie auch.
Denken Sie zum Beispiel an einen Kanisterhersteller, der jetzt der steigenden Nachfrage nach Mehrschicht-Wandaufbauten gerecht werden muss: Dank Retrofits kann er praktisch jede seiner Maschinen auf Mehrschicht trimmen und muss dafür nicht einmal eine neue Anlage beschaffen. Bei uns findet der Anwender obendrein eine geradezu ideale Balance aus Innovationsfreude und Wirtschaftlichkeit, denn als eher kleiner Anbieter sind wir besonders flexibel aufgestellt und durch den vergleichsweise geringeren Overhead auch preislich attraktiv. Dabei fertigen wir unsere „Problemlöser“ meist sogar individuell an.
Zum Schluss noch eine Frage, die in der Kunststoff-Branche derzeit Viele umtreibt: Wie stehen Sie zum Stichwort „Industrie 4.0“?
Christian Müller: Eine sehr wichtige Entwicklung, die bei uns natürlich eine wichtige Rolle spielt. Im harten Wettbewerbsdruck muss jeder seine Kapazitäten so effizient wie möglich ausnutzen, etwa indem er Wartungsintervalle senkt.
Unsere Produkte sind darauf natürlich längst ausgelegt. Sämtliche Daten, etwa Laufzeit, Belastungen, Drehmomente etc. werden abgegriffen und bei Bedarf aufgezeichnet, der Anwender muss sie nur verarbeiten. Bei uns ist Industrie 4.0 schon lange Alltag. Gelebte Kultur gewissermaßen!
Welchen Weg möchte W. Müller in den kommenden Jahren einschlagen?
Christian Müller: Auf alle Fälle bleiben wir beim Extrusionsblasformen! Aber wir wollen unseren Fokus langfristig stärker auf Großbehälter richten, ab Kanistergröße aufwärts. Da verfügen wir über exzellente Technologien. Mit unseren Wendelverteilern zum Beispiel lassen sich auch mit steifen Materialien hohe Durchsätze erzielen.
Eine besonders wichtige Herausforderung, der wir uns verstärkt stellen möchten, liegt in der Extrudertechnologie. Die gegenwärtige Entwicklung fordert Extruder mit immer höheren Leistungen, horizontal wie vertikal. Diese Aggregate sind die manchmal unterschätzte, aber entscheidende Komponente im Extrusions-Blasformen: Beim Blasformen ist ja nicht nur der Durchsatz, sondern auch die Homogenität des Extrudats ausgesprochen wichtig. Je höher zum Beispiel die Schmelzestabilität, desto reproduzierbarer läuft der Prozess. Trotzdem wurden die in der Blasformtechnik verwendeten Extruder und die Konzepte dahinter lange Zeit mehr oder weniger 1:1 aus der Folientechnik übernommen. Dort geht es allerdings vor allem um Durchsätze, da hat die Homogenität der Mischung einen ganz anderen Stellenwert. Die Blasformtechnik hat da wie gesagt deutlich höhere Anforderungen.
Aber auch das ist nur ein Aspekt. Wenn die Taktzeiten kürzer und die Maschinen immer schneller werden, um den Ausstoß zu steigern, erfordert dies zum Beispiel auch smarte Kühlungskonzepte. Schnellere Farbwechsel sind ein weiterer Punkt. Auch das sind Dinge, die wir natürlich im Auge haben.
Genug zu tun für die kommenden 40 Jahre …
Christian Müller: Ja, definitiv, denn die Anforderungen entwickeln sich ja auch weiter. In den vergangenen zehn Jahren stand eher die Kopftechnologie im Zentrum des Interesses, während Extruder in der Branche allgemein etwas ins Hintertreffen geraten sind. Aber unsere 40 Jahre Erfahrung werden uns auch bei den neuen Projekten helfen, unseren Kunden am Ende kostengünstige und zuverlässig funktionierende Lösungen anzubieten. Die Stellschrauben, an denen wir dazu drehen müssen, kennen wir bereits. Ich bin sehr neugierig auf die Zukunft!